Ein Winter in der Sonne

Reisebericht Karibikfahrt 2012/13

Jamaica

17. Februar 
Man hatte uns erzählt, dass Haiti sehr schöne Strände hätte … Vielleicht gibt’s die ja auf der Atlantik Seite, wir sehen hier an de Südküste jedoch nur Steilküste. Wir sind noch ziemlich angeschlagen von der Dom Rep, und in Haiti sind die Formalitäten garantiert nicht einfacher, außerdem hatten wir im Internet gelesen, dass sie teilweise sogar die Pässe behalten, dazu kommt, dass sie den Passat wie auf Knopfdruck direkt hinter dem Cabo Falso in der großen Bucht von Südhaiti abschalten. Wir beschließen Haiti auszulassen, drehen wieder südlich ab bis sie den Wind wieder einschalten und nehmen direkt Kurs auf Jamaica. Für 480 Meilen brauchen wir 3,5 Tage, wovon wir einen kompletten Tag in der Flaute hängen. Es ist wirklich komisch, wie so ein Flautetag einen vollkommen fertig macht. Im Grunde genommen ist es ja nicht sooo viel anders als wenn man schön segelt: du bist auf’m Schiff, um dich herum ist Wasser, über dir der Himmel, der meistens blau …. Ja, und das war’s eigentlich. Aber wir sind halt Segler, wir trimmen die Segel bis sie perfekt stehen, bis der letzte Viertel Knoten Fahrt rausgequetscht ist, alles unter 7 Knoten befriedigt uns nicht wirklich, erst ab 10 Knoten fängt das Adrenalin an zu fließen und daher HASSEN wir Flaute, weil … Stillstand gleich Tod (Grönemeyer???) und WIR WOLLEN NICHT STILLSTEHEN! Aber die restlichen 2,5 Tage sausen wir mit durchschnittlich 20-25 Knoten Wind über die Wellen und freuen uns.

Jamaica. Hmmmm. Was soll ich sagen? Bin nicht wirklich beeindruckt. Wahrscheinlich aber auch wegen den “Erwartungen” (das Thema hatten wir ja schon ) die man nunmal von Jamaica hat, von wegen Reggae, Bob Marley, “be happy” und so. Von Happy gibt’s da nicht so wirklich viel. Die Errol Flynn Marina in Port Antonio ist zwar sehr nett, immerhin einen ganzen Steg groß. Aber bis alle an Bord waren und die 20 Formulare ausgefüllt sind brauchen wir schlappe 7 Stunden … alle sind very nice, vollkommen gechillt “jaamann relax” und wir zum Glück zu müde um uns darüber aufzuregen. Außerhalb der Marina furchtbarste Armut. Beim Brot kaufen sehe ich Menschen mit Handball großen Geschwüren, halb nackt im Gulli liegen, es stinkt, nach Verfäulnis und Urin. Über die Steine laufen die Ratten. An jeder dritten Straßenecke riecht es nach Marihuana, aber eben nur an jeder Dritten, in Palma kiffen sie definitiv mehr.

Abends essen wir im Ana Banana, es gibt eine Live-Band, wir sind zwar die einzigsten Gäste, sie spielen trotzdem, allerdings eher für sich als für uns. Sie lassen ihre Freunde, die vom Zaun am Strand zu gucken, auf die Bühne und es gibt eine geniale Reggae Jam Session. Die Musik an sich ist vielleicht keine Superklasse, aber die Leute haben einfach einen super Spass. Der Kellner wippt so doll auf seinem Barhocker, dass er fast runter fällt, der Koch kommt aus der Küche und fängt an zu Tanzen. Vielleicht gibt es diese “Kultur” ja doch. Vielleicht findet man sie halt eher im Land, nicht in der Stadt, die eher Slums gleichen.

Norbert und Antje, Freunde aus Puerto Andratx sind zufälligerweise auch auf Jamaica und kommen für ein paar Tage an Bord. Abends essen wir mit ihnen im “Soldier’s Camp” (Insider Typ von unserem Hafenmeister). Irgendwo auf’m Berg im Regenwald (you know von REGENwald … hatte ich schon erwähnt, dass es hier ständig regnet??) ein paar zusammen gezimmerte Pfählen und Lichterketten. Location: Cool. Essen: OK aber nicht frisch. Und nicht gerade billig. Wahrscheinlich hätten wir doch lieber nach SanSan fahren soll, das ist wohl die Edelabteilung von Port Antonio mit Edelresort und Edellounges und Edelalles … Nun denn, am nächsten Morgen geht es nach nur 2 Stunden ausklarierend weiter. Den ersten Abend übernachten wir in Oracabessa Bay nach einem ziemlich flautigen Tag mit viel Motoren. Sehr geschützt. Am nächsten Tag dann das Kontrastprogramm: aus lauschigen 20 Knoten Wind werden innerhalb kürzester Zeit 35 Knoten. Die Lasche, die den Screatcher an der Reffrolle befestigt, reißt. Ziemlich Scheisse. Walter schafft es unter Aufbringung seiner gesamten Kräfte, dass Ding (immerhin 130 m²) per Hand und auf dem Bugspriet balancierend, einzurollen während ich versuche, das Mädel so ruhig wie möglich auf einem Kurs zuhalten, sodass die ausgerollte Genua dem wild knallenden Screatcher Windschutz gibt aber nicht Back steht und Walter vom Bugspriet wirft.

Er schafft es tatsächlich irgendwie. Wir suchen erstmal Windschutz und verarzten Walter’s Hände die ziemlich übel aussehen. Norbert und Antje sind ein bisschen blass um die Nasenspitze geworden, wir sind froh, dass wir das Segel retten konnten. Dafür gibt’s jetzt erstmal einen stärkenden super leckeren Gemüseauflauf.

Am nächsten Tag kommen wir in Montego Bay an. Wieder die unendlichen Ein- und Ausklarierungsprozedur. Fragt sich tatsächlich jemand, wieso es so wenig Segler hier gibt???? Das tut sich doch kein normaler Mensch an. Ich mein, alles schön und gut, dass wir uns beim Einreisen in ein Land gewissen Formalitäten unterwerfen müssen …. Aber bei jedem Schritt bzw. Seemeile die wir tun???? Das nervt einfach nur und ist ziemlich kontraproduktiv, denn der “Segel-Yacht-Tourist” gibt bestimmt wesentlich mehr Geld aus als der “all-inklusive” Bänselträger, ganz allein schon deshalb, weil er Selbstversorger ist.

Das wiederum ist auch genau der Grund, wieso wir so viel mehr vom Land sehen, als der durchschnittliche Hotelgänger. Inwiefern das jetzt besser oder schlechter ist, kann ich noch nicht sagen. Vielleicht bräuchte ich eine dickere Haut um das Elend nicht zu sehen … Aber kann ich das einfach ignorieren? Darf ich das? Kann ich helfen? Wohl kaum ohne eine eigene Wohltätigkeitsorganisation auf die Beine zu stellen. Ich könnte natürlich auch nicht mehr in diese Länder kommen …. Aber vielleicht helfen ihnen ja eben diese Dollars, die wir hier ausgeben, direkt bei der Bevölkerung und nicht in einem der ausländischen(!) Resorts. Habe noch keine Antwort darauf gefunden, bin noch in der Sinneskrise.

Wir lassen auf jeden Fall richtig viele Dollars im Restaurant “Pier 1″ in Montego Bay. Dafür will die Marina nur 6 Dollar pro Person und nix für Tina. Wir segeln nach Negril. Der Ort, wo Norbert und Antje den Winter verbringen und wo wir uns auch so fühlen, als wären wir auf Jamaica eine Beachbar neben der anderen, das ganze entlang eines traumhaft schönen 11-Kilometer langen Strandes. Alle wollen dir Shit verkaufen, JaaMann, NoMann, HeyMann. Die nette Kellnerin bescheißt uns um 10 Dollar. Der Strand ist weiß, das Red Stripe (Jamaikanisches Bier) eiskalt hat aber keine Umdrehungen. Bevor man davon betrunken ist, schläft man ein … zum Glück gibt’s ja auch Rumpunsch. Wir lernen ein nettes österreichisches Paar kennen (Freunde von Norbert & Antje) und verschwatzen zwei schöne Abenden mit den Füssen im Sand und nur 2 Sandflöhen.

Am Sonntag morgen beginnt der bereits unter www.passageweather.com angekündigte Sturm pünktlich um 10:00 Uhr morgens. Wir liften den Anker. Die Bucht von Negril ist nicht sehr geschützt (sicheres Zeichen übrigens, dass ein Sturm aufzieht, sind die nicht mehr am Strand vorhandenen Glass-Bottom-Boats!) und wir reiten ihn lieber auf offenem Meer ab.